Die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi appelliert gemeinsam mit über 60 internationalen Organisationen, NGO's, Stiftungen, Vertreter*innen des Privatsektors und der Wissenschaft an den Bundesrat, den Rückzug aus der Grundbildung in der internationalen Zusammenarbeit zu überdenken.
Im Zuge der Kürzungen im Budget der internationalen Zusammenarbeit hat der Bundesrat am 29. Januar 2025 den Rückzug aus der Grundbildung, einschliesslich bildungsbezogener Partnerschaften, angekündigt, während das Engagement in der Berufsbildung und in der Bildung in Notsituationen beibehalten wird. Als weltweit tätige Institutionen, die sich für Bildung einsetzen, bedauern wir diesen Entscheid zutiefst.
Dieser Entscheid steht nicht im Einklang mit der Forderung des Schweizer Parlaments der Wintersession 2024, Bildung in der Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2025-2028 mit angemessenen Ressourcen zu priorisieren.
Die Schweiz verfügt über langjährige Erfahrung und angesehene Expertise in der weltweiten Förderung der Grundbildung, die bis auf ihre ersten Entwicklungsprojekte zurückgeht. Der Mehrwert des Schweizer Volksschulsystems für die internationale Zusammenarbeit umfasst gemäss einer Studie der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA):
- die dezentrale Bildungsorganisation (Gemeindeverantwortung und lokal angepasste Lösungen)
- hohe Qualität und integrative Funktion
- Mehrsprachigkeit
- Durchlässigkeit und kompetenz-basiertes Lernen als Vorbereitung fürs Leben.
Schweizer Investitionen in die Grundbildung haben eine nachgewiesene Wirkung: rund 1,6 Millionen Kinder weltweit haben allein von 2021-2024 Zugang zur Grundbildung erhalten – ein Erfolg, der als zentrales Ergebnis der vorherigen IZA Strategie hervorgehoben wurde.
Angesichts begrenzter Ressourcen ist es nun umso wichtiger, den Fokus auf jene Massnahmen zu legen, die den grössten Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung, Stabilität, Wohlstand und Frieden leisten. Grundbildung ist dabei ein entscheidender Faktor: Laut Erkenntnissen der Bildungsökonomie hat Bildung in den letzten vier Jahrzehnten zu 50 % des globalen Wirtschaftswachstums, zu 70 % des Einkommenszuwachses für das ärmste Fünftel der Weltbevölkerung und zu 40 % der Verringerung extremer Armut beigetragen (Gethin, 2024).
Ein fragmentierter Ansatz, der sich ausschliesslich auf Bildung in Notsituationen und Berufsbildung konzentriert, kann kontraproduktiv sein und wertvolle Synergien für wirkungsvolle und nachhaltige Bildungsreformen einschränken. Die Schweiz war stets eine starke Verfechterin des Nexus-Ansatzes, der Bildung als Kontinuum betrachtet – von konfliktbetroffenen Ländern bis hin zu stabilen Gesellschaften. Die aktuellen globalen Entwicklungen verdeutlichen, wie fragil Stabilität sein kann, denn Katastrophen und Konflikte können jederzeit auftreten und hart erarbeitete Bildungserfolge rückgängig machen.
Berufliche Bildung kann nur dann nachhaltig erfolgreich sein, wenn sie auf einer soliden Grundbildung aufbaut. Die enge Verzahnung von Grundbildung und Berufsbildung ist ein zentrales Element der Swissness im Bildungssystem. Laut den Richtlinien der DEZA wird diese Verknüpfung von anderen Gebern kaum berücksichtigt, da sie den Bereich der Bildung und der Berufsbildung isoliert unterstützen. Auch Bildung in Notsituationen entfaltet nur dann langfristige Wirkung, wenn parallel dazu in die Stärkung der Bildungssysteme investiert wird.
In einer Zeit, in der sich immer mehr Akteure aus der internationalen Zusammenarbeit und Bildung zurückziehen, ist die Annahme, dass andere die Lücke füllen können, weder strategisch, realistisch, noch nachhaltig.
Zunächst empfehlen wir deswegen dem Bundesrat, den Fokus über Bildung in Notsituationen hinaus auf Bildung in fragilen und konfliktbetroffenen Ländern zu erweitern. Dies würde einen kohärenten, kosteneffizienten und nachhaltigen Ansatz ermöglichen – von der Gewährleistung der Bildungskontinuität für krisenbetroffene Kinder und Jugendliche, bis hin zur Stärkung der Grundbildungssysteme.
Der Entscheid des Bundesrats schwächt zudem das Internationale Genf, einen wichtigen Bestandteil der Aussenpolitischen Strategie der Schweiz. Der Multilateralismus steht unter Druck und bedeutende Geber ziehen sich aus der internationalen Zusammenarbeit zurück. Der Rückzug der Schweiz aus der Grundbildung bringt die Gefahr eines Dominoeffekts mit sich, der zu weiterem Rückzug und Repriorisierungen führen könnte. Und eines ist klar: Die Auswirkungen dieses Dominoeffekts wären langfristig und verheerend – für Millionen von Kindern, Lehrkräften, Pädagog*innen, Familien und Gemeinschaften weltweit.
Während das Jahr 2030 und die Frist zur Umsetzung der Agenda für nachhaltige Entwicklung näher rücken, gehen noch immer über 251 Millionen Kinder und Jugendliche nicht zur Schule und sieben von zehn Kindern in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen sind derzeit nicht in der Lage, bis zum Alter von 10 Jahren einen einfachen Text zu lesen und zu verstehen (UNESCO, 2024).
Als unterzeichnende internationale Organisationen, Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen, Vertreter*innen des Privatsektors und der Wissenschaft empfehlen wir dem Bundesrat, im nächsten Schritt den Rückzug aus der Grundbildung grundsätzlich zu überdenken und der Forderung des Schweizer Parlaments nachzukommen, Bildung in der Strategie 2025-28 angemessen zu priorisieren und mit ausreichenden finanziellen Mitteln auszustatten.